Fishbowl-Runde: „Freiheit braucht Schutz!“
Die Fishbowl-Runde „Freiheit braucht Schutz!“ mit:
• Markus Beckedahl | netzpolitik.org
• Jan Kottmann | Google Deutschland
• Jürgen Hein | dpa
• Sepideh Parsa | Deutsche Welle Media Services
Bevor es losgeht, lädt der Moderator zur Mitwirkung ein:
Das Besondere ist bei diesem Panel die Idee des Fish Bowl. Ein Stuhl auf dem Plenum bleibt frei – jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, diesen zu nutzen, um eine Frage zu stellen.
Die erste Frage von Daniel Fiene richtete sich an Jan Kottmann (Google Deutschland):
Die deutsche Google-Angst: Wie nehmen Sie diese Google Angst wahr?
Antwort: Man muss ein wenig zurückgehen, um es einordnen zu können, Streetview ist hier ein gutes Beispiel. Es gibt auch Erklärungsansätze, die historisch begründet sind. Deutschland hat 1974 das weltweit erste Datenschutzgesetz geschaffen. Wir können der Angst nur entgegenwirken, in dem wir uns offen Fragen stellen, unsere Algorithmen erklären und heute präsent sind.
Frage Moderator:
Warum erklärt sich Google so wenig? Wie setzt man das Thema Recht auf Vergessen um? Wonach entscheidet Google derzeit, ob nun ein Treffer aus den Suchergebnissen entfernt wird oder nicht?
Antwort Kottmann: Wir haben uns relativ schnell in die logistische Lage versetzt, das Urteil umzusetzen. Das Urteil hat uns allerdings Sparsamkeit an verschiedenen Entscheidungsparametern hinterlassen. Es wird alles durch Einzelpersonen entschieden. Wir sind hier ziemlich alleingelassen worden. Normalerweise wird ein geeignetes Verfahren durch Gerichte entwickelt. Die Kriterien, die für dieses Verfahren wichtig sein sollten, lauten: Wie „relevant“ ist diese Person? Wie alt ist diese Information? Wir haben Gremien, die sich zusammensetzen, die im Zweifelsfall gemeinsam über abstrakte Fälle entscheiden. Diskutiert werden auch solche Fragen wie „Fallen auch .com-URLs unter diese Entscheidung?“ Oder bestimmen eines Tages etwa pakistanische Gesetze oder totalitäre Rechtsauffassungen über die Netzinhalte in Europa?
Jürgen Hein / dpa: Wir müssen uns sehr genau überlegen, welche Inhalte wir überhaupt weitergeben. Wann etwa ist das persönliche Schutzrecht der Privatsphäre wichtiger als das öffentliche Interesse. Frage: Welche Seite gewinnt, gibt es mehr Freiheit, wo hat die Freiheit profitiert und wo wird sie eingeschränkt?
Antwort Hein: Die Freiheit der Medienkunden hat stark zugenommen. Ich glaube, das ist auch mit Inhalten so, mit Dingen, die man lesen oder hören will. Und da bin ich sicher, dass die Freiheit sehr stark zugenommen hat. Wir legen bei dpa zum Beispiel auch die Quellen unserer Dokumente offen (sog. Notizblock).
Markus Beckedahl: Bei uns auch; uns liegen Dokumente nicht nur vor, sondern wir veröffentlichen sie auch.
Frage Moderator:
Wenn Sie die letzten 10 Jahre Revue passieren lassen, wie hat sich das Netz als Freiheitsmedium bewährt?
Sepideh Parsa: Tendenziell haben wir es mit subtileren Einschränkungen zu tun. Anders als in totalitären Systemen (Bsp. Iran); dort wird alles staatlich überwacht. Dort findet eine enorme Flucht ins Internet statt. Die Inhalte der Blogs, die entstanden sind, sind teilweise politisch, teilweise gesellschaftskritisch, aber auch banale Themen können dort hochpolitisch sein, einfach, weil sie sich der staatlichen Kontrolle auf diesem Wege entziehen. Der Onlinealltag der iranischen Jugend: 70% der jungen User nutzen TOR und VPN-Clients. Man nutzt das Netz für Kommunikation über soziale Grenzen hinaus, für Pop-Kultur, auch um den Diskurs über scheinbar Unpolitisches zu führen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Nutzer und Regierung. Man ist also aus einer Not heraus gezwungen, sich dieser Tools zu bedienen.
Frage aus dem Fishbowl:
Warum beschließt eine Plattform, einige Inhalte nicht zu zeigen? Bsp. Enthauptungsvideo, Schmähvideo „innocence of …“. Es ist doch ein Unterschied, ob solches Material von einem journalistischen Medium oder einer Plattform nicht gezeigt wird.
Jan Kottmann: Argumentiert wird mit dem Save-search-Modus. Ist die Unterdrückung der Verbreitung von Kinderpornographie eine Rechtfertigung für Zensur? Auf der anderen Seite kann so eine Beschränkung auch weitere Einschränkungen mit sich ziehen.
Jürgen Hein: Solche Sachen kommen im Redaktionsalltag täglich vor. Man steht vor der persönlichen Frage: „Will ich diesen Inhalt wirklich verbreiten?“ Im Zweifelsfall möchte ich es selbst entscheiden und nicht von Google diktiert bekommen, diesen Inhalt zur Verfügung zu stellen oder nicht. Hierbei geht es natürlich auch ganz klar um Kompetenzvermittlungen. Wie kann ich differenzieren, welche Inhalte für wen geeignet sind?
Fishbowl-Frage:
German Angst: Fragen an Herr Kottmann. Sehen Sie als Google Deutschland eine Möglichkeit, diese German Angst zu exportieren? Ich fände es toll, wenn Google Deutschland die Deutsche Angst in die Welt trägt!
Jan Kottmann: Wir haben ein weltweites Indizierungsverfahren. Dabei gibt es einen klaren Vorrang von privater Freiheit. Im Zweifelsfall können dadurch auch journalistische Inhalte rausfallen. Ich halte Streetview für das denkbar schlechteste Beispiel. Fassaden sind alles andere als privatisierte Anliegen. Wir bräuchten eine sinnvolle Abwägung von Freiheitsrecht und Datenschutz.
Moderator:
Wir müssen die Freiheit beschützen: Wer ist hier gefragt? Die Konzerne? Die Medien? Wer müsste zum größten Freiheitskämpfer werden?
Markus Beckedahl: Wir Bürger. Die Politik hätte die Aufgabe, aber steckt den Kopf in den Sand. Die Politik soll unsere Grundrechte und unsere Demokratie schützen. Die Medien haben die Aufgabe, als vierte Gewalt ein Stachel im Rücken zu sein und sich dafür einzusetzen. Freiheit ist für die jüngere Generation etwas, was uns in den Schoß gelegt wurde. Wir können aber nicht davon ausgehen, damit auch sterben zu können.
Sepideh Parsa: Ich glaube, wir sollten uns die Freiheiten, die wir hier haben, vor Augen haben und wertschätzen, damit wir nicht Gefahr laufen, diesen demokratischen Gedanken aufzugeben.
Jürgen Hein: Auch der Begriff Freiheit kann missbraucht werden. Wir dürfen aber keine Angst vor der Freiheit als solcher entwickeln, nur weil sie von anderen missbraucht oder ausgenutzt wird.
Fishbowl-Frage:
Welche Argumente haben Sie dafür, dass ich Google nutze und nicht Duckduckgo?
Jan Kottmann: Wir haben mit der nicht-eingeloggten Suche klare Kriterien von den Datenschutzbehörden. Bei der eingeloggten Suche ist natürlich deutlich mehr von der Suchhistorie gespeichert – aber hier haben Sie sich damit einverstanden gezeigt, da Sie eingeloggt sind, aber auch hier können Sie diese löschen. Sie haben eine lineare Einwilligung und die Freiheit, diese jederzeit wieder zurückzuziehen.
Moderator:
Welche Freiheit schätze ich am meisten?
Markus Beckedahl: Die Freiheit, das Internet mobil mitzutragen.
Jan Kottmann: Die Freiheit, auf so viele qualitativ hochwertige Quellen zugreifen zu können.
Jürgen Hein: Die Freiheit des Zugangs zu Wissen auch für Regionen und Gesellschaften, denen es Jahrhunderte verwehrt wurde.
Sepideh Parsa: Die Freiheit, die wir hier haben – im Unterschied zu vielen anderen Ländern.