Aktiv gegen Hate Speech und Fake News im Netz – Interview mit Aycha Riffi (Grimme-Akademie)
Seit wann beschäftigt Ihr Euch mit den Themen Hate Speech und Fake News im Netz?
Die Auseinandersetzung über die Qualität der Kommunikation im Netz wurde und wird im Grimme-Institut stetig geführt. Sie findet im Rahmen von Veranstaltungen statt, wie jetzt beim Social Community Day, in Publikationen, Vorträgen, Workshops, und begann 2014 im Rahmen des europäischen Projektes BRICkS, das steht für: Building Respect On The Internet By Combating Hate Speech.
Angeregt durch die Erfahrungen im Projekt erschien 2017 eine Publikation mit dem Titel: Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses.
Ich weiß noch, dass wir in der Einleitung geschrieben haben, dass die noch fünf Jahre zuvor diagnostizierte Phase der Netzeuphorie durch eine Phase der Ernüchterung abgelöst worden ist, weil Bereiche im Netz immer öfter durch Hass und Aggression vergiftet werden.
Diese Entwicklung wollen wir nicht hinnehmen – und das ist auch ein Antrieb für unsere Projekte und Aktivitäten zum Umgang gegen Online Hate Speech, Fake News, Verschwörungserzählungen und politische Extreme.
Du hast das Projekt BRICkS erwähnt. Was habt Ihr da genau gemacht?
Eine Ausbreitung von Hass im Netz fand ja nicht nur in Deutschland statt. Daher haben wir uns gerne am EU-Projekt BRICkS beteiligt, das von 2014 bis 2016 mit vier europäischen Partnerinstitutionen aus Italien, Spanien, Belgien und Tschechien umgesetzt wurde. Hate Speech war in Deutschland 2014 bereits ein Thema, aber nicht so im Fokus wie heute. Schon zu Beginn der ersten Projektphase änderte sich dies aber, unter anderem mit heftigen Reaktionen im Netz auf die steigende Anzahl geflüchteter Menschen in Europa. Die Anzahl dieser Kommentare und vor allem der Grad an Hass, der in den Beiträgen zum Ausdruck gebracht wurde, waren alarmierend.
Gemeinsam mit Experten und Expertinnen haben wir im Projekt praktische Materialien zum Umgang mit Hate Speech entwickelt. In über 200 Workshop-Stunden wurden die Materialien an Schulen getestet. Schwerpunkt der Workshops war die kreative, mediale Auseinandersetzung zum Beispiel in Form einer Kampagne gegen Hate Speech: Audio- und Videospots, Musikclips, Interviews oder Online-Präsentationen wurden erarbeitet. Dabei haben wir gemerkt, dass Online Hate Speech kein Jugendphänomen ist, sondern alle Altersgruppen betrifft. Aber die Schüler*innen haben immer wieder gesagt, wie wichtig, interessant und hochaktuell das Thema für sie sei.
Das Projekt ist beendet, aber was hat sich für Euch daraus entwickelt?
Mit den Erfahrungen und Ergebnissen aus BRICkS haben wir weitergearbeitet. Zusätzlich beschäftigen wir uns ebenso mit dem Phänomen Fake News. Für die Abteilung Politische Jugendbildung des Deutschen Volkshochschul-Verbands ist so umfangreiches Material entstanden. Die von uns erstellte „Modulbox“ ist ein komplett neues Angebot und kann kostenfrei bezogen werden.
Gerade aktualisieren und erweitern wir die Materialien um ein weiteres Thema: Dark / Private Social. Die aktualisierte Modulbox wird Anfang 2021 online sein.
Was meint Ihr genau mit Dark / Private Social?
Aktuell ist zu beobachten, dass sich politische Debatten aus den öffentlich zugänglichen Bereichen des Netzes in private Räume zurück verlagern, beispielsweise durch die Nutzung von WhatsApp: Dies kann als eine Art Private-Social-Phänomen beschrieben werden, oder auch als Dark-Social, weil es hier um Bereiche geht, die nicht öffentlich sind – das ist jetzt aber die kurze Beschreibung.
Dieser Trend hat viele Gründe, lässt sich vielleicht auch deuten als Reaktion auf das zunehmend raue Kommunikationsklima im Netz. Als Konsequenz können aber Transparenz und Öffentlichkeit verloren gehen und Gegenmeinungen erhalten auch weniger Raum. Aus der Sicht gerade junger Nutzer*innen hat dies aber auch einen Mehrwert: Ihre Kommunikation untereinander verschwindet aus dem Blick Erwachsener und sie sind wieder privater bzw. ungestörter.
Sind das die einzigen positiven bzw. negativen Effekte? Und was genau hat dies mit Fake News zu tun?
Interessanterweise haben für viele Menschen geteilte Links und Beiträge in privaten Netzwerken, wie beispielsweise in Messengerdiensten, eine stärkere Glaubwürdigkeit – selbst wenn es sich dabei um Hassbotschaften oder Fake News handelt. Das wird damit begründet, dass der oder die Absendende in der Regel bekannt ist oder zum direkten sozialen Umfeld zählt und damit auch für die Qualität geteilter Links und Beiträge bürgt. Und diesen Beiträgen und Links darf schon ein großer Einfluss auf die politische Meinungsbildung unterstellt werden. Hier fehlen noch empirische Belege – im Sinne von Studien –, trotzdem gibt es da interessante Beobachtungen: Zum Beispiel wurde 2019 von Gewaltausbrüchen erwachsener Menschen in Indien berichtet, die auf in Messenger-Diensten geteilten Nachrichten beruhten. Am Ende stellte sich heraus, dass es sich dabei um Falschnachrichten handelte.
Aber auch positive politische Aktivitäten können durch Messenger (leichter) organisiert werden. Wie viele andere Verabredungen und Unternehmungen von jungen Menschen wurden auch die Klimaproteste von Schülerinnen und Schülern unter dem Hashtag #fridaysforfuture maßgeblich per WhatsApp verbreitet und in geschlossenen WhatsApp-Gruppen organisiert.
Für Medienbeobachter*innen und -Kritiker*innen bedeutet dies aber auch eine neue Form der Ausgeschlossenheit. Eine Qualitätsdebatte und das heißt auch ein Faktencheck lassen sich – banal gesprochen – nur führen, wo Inhalte einsehbar und diskutierbar sind.
Seid Ihr mit den Themen jetzt durch oder welche Themen schließen sich in Zukunft bei Euch an?
Es werden ja leider weiterhin gesellschaftliche Fragen und Aufgaben an vielen Orten nicht konstruktiv, sondern immer aggressiver und auf Spaltung konzentriert geführt. Ich glaube, die Phänomene Hate Speech und Fake News werden uns noch sehr lange intensiv beschäftigen. Im Netz hat sich insbesondere die extreme Rechte in dem Feld Fake News geradezu professionalisiert – anders als linksgerichtete Milieus. So kommen auch wir an dem Thema Rechtspopulismus nicht vorbei.
Für die Zielgruppe Dozent*innen und Lehrkräfte in der politischen Jugendbildung möchten wir im nächsten Jahr Materialien zum Aspekt Verschwörungserzählungen erarbeiten.
Wir werden uns auch in Zukunft an Kooperationen beteiligen, wie zum Beispiel bei dem Nationalen Komitee des No Hate Speech Movement oder auch mit der Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ der Landesanstalt für Medien NRW. Dazu wird es Seminare und Workshops geben und wir erstellen Materialien, die auch für Medienakteure nutzbar sind. Es gibt auf dem Feld ja leider noch sehr viel zu tun, aber zum Glück können wir dadurch mit tollen Menschen und Initiativen zusammenarbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Aycha Riffi, studierte an der Ruhr-Universität Bochum Film- und Fernsehwissenschaft, Theaterwissenschaft, Germanistik und Pädagogik. Nach dem Studium und einer Hospitanz beim ZDF/Das kleine Fernsehspiel sammelte sie redaktionelle und journalistische Erfahrungen beim WDR, SDR und DSF. 2002 kam sie als freie Mitarbeiterin zum Grimme-Institut. Vom Grimme Online Award wechselte sie 2005 zur Grimme-Akademie, die sie seit 2010 leitet. Seit fünf Jahren ist sie vermehrt als Referentin (Workshops und Vorträge) zu den Themen „Wie umgehen mit Hate Speech und Fake News?“ unterwegs. Gemeinsam mit Kai Kaspar und Lars Gräßer ist sie Herausgeberin der Publikation „Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses.“ in der Schriftenreihe zur Digitalen Gesellschaft NRW.