Die Web-Tipps der Referent*innen
Zum Ende der Gespräche von GOA talks haben die Referentinnen und Referenten Tipps gegeben für weitere empfehlenswerte Online-Angebote. Denn: Wer selbst gute Websites, Podcasts oder Social-Media-Accounts produziert, kennt auch andere gute. Hier die Empfehlungsliste:
Chatten gegen den Hass
Eva Deinert vom BR-Projekt „Die Befreiung“ ist vor kurzem wieder auf „Hidden Codes“ gestoßen, ein Serious-Game von der Bildungsstätte Anne Frank. Bei dem Mobile-Game geht es um Radikalisierung im Digitalen – im Netz wie auch in Messenger-Diensten. In einer simulierten Social Media-Umgebung chatten die Spieler*innen, durchstöbern Profile und reagieren auf Storys und Kommentare anderer Nutzer*innen. Im Spiel sollen die Jugendlichen problematische Inhalte oder Aussagen erkennen und kompetent darauf reagieren. Das Spiel ist für den Unterricht gedacht und es werden zahlreiche Begleitmaterialien bereitgestellt. Eva Deinert hebt besonders hervor, dass die Jugendlichen hier zunächst eigene Erfahrungen machen können und sich das Thema selbst erarbeiten, „da bleibt meist mehr hängen“.
Unendliches Archiv
Julia Oelkers, die „Eigensinn im Bruderland“ und „Gegen uns.“ mitkonzeptioniert hat, beschäftigt sich derzeit mit Archiven und hat sich deshalb das „RomArchive“ noch einmal genauer angesehen. Es wurde genauso wie „Eigensinn im Bruderland“ 2020 mit einem Grimme Online Award in der Kategorie Kultur und Unterhaltung ausgezeichnet. Das „RomArchive“ macht zwischen Magazin und elaboriertem Archiv die Künste und Kulturen der Sinti und Roma sichtbar. In zehn thematisch unterteilten Bereichen finden sich etwa 5.000 Objekte und Artikel, so miteinander verknüpft, dass sich die Nutzer*innen darin verlieren können. „Ich weiß gar nicht, ob man da jemals an ein Ende kommt“, stellt Julia Oelkers fest. Als internationales und mehrsprachiges, von Sinti und Roma erstelltes Projekt bestärkt es die Minderheit und ist Wissensquelle für die Mehrheitsgesellschaft. So begegnet dieses einzigartige Angebot Stereotypen und Vorurteilen mit Fakten.
Fluchtgeschichten
Julia Oelkers empfiehlt noch ein weiteres Archiv: Das „We Refugees Archiv“ von minor Projektkontor für Bildung und Forschung. Das wachsende digitale Archiv zu Flucht in Vergangenheit und Gegenwart stellt individuelle Schicksale in den Mittelpunkt. Geordnet nach Themen oder Städten sind hier Zitate, Originaldokumente, Fotos oder Videos integriert. „Ich finde das zum Stöbern sehr schön“, erzählt Julia Oelkers, „weil man da ganz viele Geschichten finden kann über Flucht und Migration und man selbst auswählen und eigene Schwerpunkte setzen kann.“
Der vergessene Anschlag
Alena Jabarine Reporterin für den Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ empfiehlt auch einen Podcast: „Terror am OEZ – Fünf Jahre nach dem Anschlag in München“ von Süddeutscher Zeitung und Spotify. Erschienen ist er im Sommer 2021 und erzählt in sechs Folgen vom Abend des 22. Juli 2016, an dem ein Rechtsterrorist am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen tötet. „Ich war sehr dankbar dafür, dass dieser Podcast rausgekommen ist“, erklärt Jabarine, „weil mir und meinen Kollegen in der Auseinandersetzung mit Hanau noch einmal klargeworden ist, dass dieser Münchner Anschlag gar keine Aufmerksamkeit bekommen hatte, obwohl er so schlimm war. Das ist komplett an vielen Leuten vorbeigegangen.“
Strukturen sichtbar machen
Christina Brinkmann, Reporterin für den Podcast „Halle nach dem Anschlag“, weist auf den Atlas „Rechtes Land“ hin. Er wird betrieben vom antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin e.v. (apabiz) und kartografiert Fälle rechter Gewalt und rechte Aufmärsche deutschlandweit, wie auch kommunalpolitische Mandate von AfD bis NPD. Genauso kann man sich in der interaktiven Karte aber auch antifaschistische Gruppen und Opferberatungsstellen anzeigen lassen. Das Projekt sei empfehlenswert, weil „es Strukturen sichtbar macht, auch eine Arbeit sichtbar macht“, so Christina Brinkmann, „es gibt so viele Antifa- und zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen rechts stellen, denen man sich anschließen sollte und deren Arbeit Aufmerksamkeit braucht.“
Stadtrundgang gegen rechts
Als weitere Website empfiehlt Christina Brinkmann eine, die es noch gar nicht so lange gibt: „Angstzonen & Schutzräume“ ist ein Stadtrundgang des Thüringer Archivs für Zeitgeschichte. „Das finde ich ein sehr wichtiges Projekt, weil es sich mit rechter und rassistischer Gewalt in den 1990er Jahren in Jena auseinandersetzt“, erklärt Brinkmann. Punkte auf einer Karte verweisen auf Orte in der Stadt, an denen Gewalttaten stattgefunden haben, aber auch auf solche, die antifaschistischen und demokratischen Gruppen Schutz bieten. Sie sind verknüpft mit Erläuterungstexten, die auch Hintergrundinformationen bieten.
Einfach erklärt
Celia Parbey, Chefredakteurin des „RosaMag“ empfiehlt das Instagram-Format „erklär mir mal…“. „Hier werden ganz runtergebrochen bestimmte Konzepte erklärt, egal ob Klimagerechtigkeit oder Allyship“, begründet Celia Parbey ihre Wahl. In diesem Bildungsformat werden die Zusammenhänge mit ganz einfachen Texten in Bildern mit Chat-Sprechblasen in Dialogform erklärt. Die Macher*innen des selbst organisierten Projektes sind queere, (post-)migrantische Personen, die ihre Perspektive einbringen und so einen Schwerpunkt auf Themen legen, die sonst wenig stattfinden: Queer, Feminismus oder Anti-Rassismus.
Gestohlene Erinnerung
Marco Reinke, der an „Jeder Vierte“ beteiligt war, ist immer noch beeindruckt vom mitnominierten „#StolenMemory“: „Ein wahnsinnig eindrückliches Projekt!“ Die Scrollytelling-Website stammt von den Arolsen Archives, wo noch heute persönliche Gegenstände lagern, die KZ-Insass*innen bei ihrer Verhaftung abgenommen wurden. Die Arolsen Archives haben die Kampagne „#StolenMemory“ gestartet, um Angehörige der Opfer zu finden, damit diese die so genannten „Effekten“ zurückerhalten. Die Website begleitet die Kampagne und zeichnet ausgehend von Brieftasche, Ohrringen oder Füller auf berührende Art die Lebensgeschichte von jung Verhafteten nach.
Widerstand auf Instagram
Floriane Azoulay, Direktorin der oben genannten Arolsen Archives und Initiatorin von „#StolenMemory“ empfiehlt zunächst nachdrücklich das Instagram-Format „Ich bin Sophie Scholl“ von Bayerischem Rundfunk und Südwestrundfunk. Wie die Filme in „#StolenMemory“ arbeitet es in der Ich-Form und auch mit fiktiven Elementen. „So lange man transparent ist, darf man das machen“, erklärt Azoulay. Anlässlich des 100. Geburtstags am 9. Mai 2021 begleitet „Ich bin Sophie Scholl“ die letzten zehn Lebensmonate der Widerstandskämpferin. Von einer Schauspielerin verkörpert stellt sie ihr Leben wie eine Influencerin immer im Kontakt mit ihrer Community dar, sehr emotional und subjektiv.
Spiel als Schutzraum
Abgestimmt auf ihren Gesprächspartner Jonas Feldt, empfiehlt Floriane Azoulay ein weiteres Projekt, das „sehr nah an den ‚Hong Kong Diaries‘ ist“: Die „Uncensored Library“ von Reporter ohne Grenzen. Eine Bibliothek im Computerspiel „Minecraft“, in der Artikel veröffentlicht werden können, die in den Heimatländern der Journalisten zensiert sind. „Ein ganz tolles Projekt, wo Human Rights Defenders Artikel veröffentlichen und sich austauschen können – dank Minecraft – und Zugang haben zu einer Riesen-Community“, begründet Azoulay. Ein Schlupfloch, denn während unabhängige Online-Angebote in vielen autokratischen Staaten gesperrt sind, ist das Spiel „Minecraft“ frei zugänglich.
Automatisiert gegen rassistische Hashtags
Außerdem hat Floriane Azoulay vor kurzem den Twitter-Bot „First Responder“ entdeckt, der auf rassistische Aussagen im Zuge der Corona-Pandemie reagiert. „Es kann so einfach sein“, meint Azoulay. Der Bot antwortet, sobald englischsprachige Hashtags verwendet werden, die China oder Asien in Verbindung mit Corona bringen. In sachlichen Texten wird erklärt, dass das Virus besser einfach Covid 19 genannt werden sollte, statt rassistische Zuschreibungen vorzunehmen. Außerdem bietet der Account Argumentationshilfen für die persönliche Diskussion.
Klimahelden
Jonas Feldt, der an den „Hong Kong Diaries“ beteiligt war, empfiehlt zwei weitere Projekte der FreeTech – Axel Springer Academy of Journalism and Technology: „Jeder Vierte“, das mit Marco Reinke auch bei den GOA talks vertreten ist und das neue Projekt „Heropeans“. Hier werden Personen vorgestellt, die sich in unterschiedlichen europäischen Ländern für den Klimaschutz engagieren. Dabei wird aber kein abstraktes Engagement in Form von Demonstrationen hervorgehoben, sondern ganz konkrete Tätigkeiten. Der 80-jährige Alexandru aus Rumänien zum Beispiel pflanzt in einer trockenen Gegend Bäume, damit der Boden nicht vollständig austrocknet. In dem Angebot werden außerdem die Nutzer*innen aufgefordert, von ihren eigenen Klimaschutz-Geschichten zu erzählen.
Investigatives aus den USA
Außerdem empfiehlt Jonas Feldt die Recherchen der US-amerikanischen Plattform „ProPublica“. „Das ist vor allem sehr datenanalytisch aufgearbeitet“, so Feldt, „sie haben zum Beispiel gerade eine Karte der USA mit krebserregender Luftverschmutzung gemacht.“ Bei „ProPublica“ handelt es sich um die größte stiftungsfinanzierte journalistische Plattform der USA, die die investigative Recherche fördern möchte, da sie sonst aus wirtschaftlichen Gründen vernachlässigt wird.
Aus Berlin
Jonas Feldt weist noch auf zwei Berliner Projekte hin: Für den „Radmesser“ haben die Journalist*innen des „Tagesspiegel“ gemessen, wie dicht Autos Radfahrer überholen. „Hier kann man noch mal ganz kreativ und interaktiv sehen, an welchen Stellen es bei der Radinfrastruktur in Berlin so richtig hapert“, fasst Feldt das umfangreiche Projekt zusammen. Auf dem Instagram-Account „Berliner Medizin“ geht es nicht um Berliner Ärzte, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern um allgemeine Informationen aus dem Bereich der Medizin. Dabei werden zwar viele Inhalte zur Coronapandemie veröffentlicht, aber es geht mitnichten nur darum, sondern zum Beispiel auch um die Wirkung von Cannabis, um das Abtasten von Brüsten oder die Symptome von Blutkrebs.