Der Blick in die Geschichte – Die DDR Teil 1: Leben in der DDR

Veröffentlicht von as am

In unseren ersten Beiträgen zur GOA talks-Reihe mit dem Oberthema „Der Blick in die Geschichte“ geht es um das Leben in der DDR, den Mauerfall und die Wende sowie um die Nachwendezeit, auch mit ihrem möglichen Einfluss auf aktuelle Entwicklungen.

In den Jahren 2012 bis 2021 haben sich Projekte, die im Rahmen des Grimme Online Award nominiert oder ausgezeichnet wurden, in ganz unterschiedlichen Formen mit der Geschichte der DDR und ihrem Alltagsleben, mit dem Mauerfall und dem Weg dahin, mit Wendebiografien und mit politischen Phänomenen der Nachwendezeit beschäftigt. Die entstandenen Werke wollen wir an dieser Stelle noch einmal vorstellen.

Screenshot, Mai 2012

Hierfür haben wir die vergangenen zehn Jahre der Einreichungen durchforstet. Bereits 2012 gab es die Beiträge „Geheimsache Mauer“, zu der leider keine Website mehr existiert, sowie „Flüsterwitze in der DDR“. Ersterer war eine aufwendige Seite zur Geschichte der deutsch-deutschen Grenze, die vom MDR produziert wurde (eine Beschreibung findet sich diesem quergewebt-Interview); die „Flüsterwitze“ waren ein Angebot der Berliner Morgenpost, hier ebenfalls das damalige Interview, denn die entsprechende Seite bei der Morgenpost selbst ist mittlerweile nicht mehr vollständig.

In zeitlicher Nähe zu „30 Jahren Mauerfall“ nahm die Zahl der eingereichten Arbeiten zu diesem Themenkomplex erst langsam, dann sprunghaft zu. Einen Überblick etwa über all das, was im Jubiläumsjahr selbst entstanden ist und im Nachgang dazu beim Grimme Online Award eingereicht wurde, hat Vera Lisakowski in den quergewebt-Blogartikeln „Wende-Erinnerungen“ und „Wie war das damals?“ zusammengestellt.

Eine Auswahl von Projekten stellen wir im Folgenden vor. Und wir fangen an mit Beiträgen zu „Leben in der DDR“.


Staatsbürgerkunde – Vom Leben in der DDR (2016)

Bereits 2016 zählte der Podcast „Staatsbürgerkunde – Vom Leben in der DDR“ zu den Nominierten des Grimme Online Award. In ihm spricht Martin Fischer gemeinsam mit Gästen genau darüber: über das Leben in der DDR, über „Propaganda, Gesundheitssystem, Sprache, Geld – der frühere Alltag wird lebendig in diesem Audioangebot“. (Aus der damaligen GOA-Beschreibung)

Zum Zeitpunkt der Einreichung war es ein Fundus von über 70 Folgen; aber Martin Fischer hat seitdem kontinuierlich weiter an der Reihe gearbeitet, so dass mittlerweile über hundert Beiträge verfügbar sind. Mit ihnen können „auch DDR-Kenner noch eine Menge lernen – oder ihre eigenen Erinnerungen abgleichen“ . (GOA-Beschreibung 2016)

Screenshot, April 2016

Sechs aktuelle Folgen auf einen Blick stellt das DDR-Museum, das die Reihe ebenfalls verbreitet, hier vor – zusammen mit je einer kurzen Einführung und Beschreibung von Martin Fischer selbst.

2016 hieß es im Intro zum quergewebt-Interview mit Martin Fischer:
„Ohne Ostalgie will Martin Fischer in seinem Podcast ‚Staatsbürgerkunde‘ alle drei Wochen mit seinen Gesprächspartnern zurückschauen auf die Lebensumstände im ‚anderen Deutschland‘ zwischen 1949 und 1990. Zu diesem Podcast wurde er von einem Kollegen angeregt, mit dem er in einem Gespräch auf die DDR-Vergangenheit seiner Familie, ihr Leben dort und die Ausreise 1989 zu sprechen kam.“

Im Interview von damals schilderte er seine Erfahrung, dass es für viele Menschen interessant gewesen sei zu hören, wie das Leben dort war:

„Ich kannte es selbst hauptsächlich aus Erzählungen, weil ich damals noch sehr jung war. Und irgendwann habe ich mir überlegt, dass ich gerne dokumentieren würde, was wir als Familie erlebt haben und wie sich das Leben in der DDR gestaltet hat. Ich habe einfach meine Eltern gefragt, ob sie Lust haben darüber zu sprechen und so hat der Podcast 2012 angefangen. Die Intention ist, das Alltagsleben zu dokumentieren und zu zeigen welche verschiedenen Facetten das Leben in der DDR hatte. Da meine Eltern nicht alle Themen abdecken können, spreche ich mit vielen verschiedenen Gästen in unterschiedlichen Berufen und Lebenssituationen.“

Für das Format Podcast hat er sich entschieden, weil „im persönlichen Gespräch viel mehr Nuancen rüberkommen, die man im Text nicht abbilden könnte“.

„Ich finde es sehr wichtig, dass mein Gesprächspartner mit seiner eigenen Stimme erzählt, was er erlebt hat. Es ist schließlich ein subjektiver Eindruck der Person, der ja nicht stellvertretend für alle Personen der DDR stehen muss, weil es verschiedene Lebenswirklichkeiten gibt. Deshalb versuche ich auch, manche Themen erneut mit anderen Personen zu besprechen, damit man eben auch Unterschiede heraushören kann.“

Quellen auf einen Blick:
Das gesamte Interview ist hier nachzulesen.
Die GOA-Nominierten-Seite ist hier.
Hier geht es zum Artikel des DDR-Museums zu aktuellen Folgen des Podcasts.
Martin Fischer stellte seine Arbeit 2016 selbst in einem kurzen YouTube-Beitrag vor.
Und die Podcast-Reihe selbst findet sich hier.


Mensch Mutta. (2019)

Screenshot, April 2019

Eine zumindest in Teilen ähnliche Biografie wie Martin Fischer hat die Hörfunk-Journalistin Katharina Thoms insofern, als dass beide ihre ersten zehn Lebensjahre in der DDR verbracht haben. Für die siebenteilige Podcast-Reihe „Mensch Mutta“, in der sie Gespräche mit ihrer Mutter zu deren Leben in der DDR festhielt, ist Katharina Thoms 2019 mit einem Grimme Online Award in der Kategorie Kultur und Unterhaltung ausgezeichnet worden.

Befragt zur Entstehungsgeschichte von „Mensch Mutta“ sagte Katharina Thoms damals in einem quergewebt-Interview:

„Ich habe das Thema schon lange mit mir herumgetragen, weil ich immer wieder gemerkt habe, dass das Leben meiner Mutter etwas anders verlaufen ist als das meiner Freunde und deren Mütter hier im Westen, wo ich jetzt schon lange lebe. Irgendwann ist mir dann klar geworden, dass es ganz unterschiedliche Lebensentwürfe sind. Und dass das Leben meiner Mutter so, wie es verlaufen ist, auch etwas mit der DDR zu tun hat. In ihrem Leben hat es kleine Irrungen und Besonderheiten gegeben, nichts groß Dramatisches; aber das hat schon alles sehr ihr Leben geprägt und dadurch natürlich auch meins und wie ich aufgewachsen bin. Vor zwei Jahren habe ich dann mal angefangen, Interviews mit ihr zu führen. Ich habe gedacht, vielleicht kann man da irgendwas draus machen. Dabei war die Erstellung eines Podcast auch schon eine Idee. Ich habe das Ganze dann aber erstmal ohne großen Druck weiterverfolgt. Irgendwann kam so viel Material zusammen, dass es sich gelohnt hat, die Geschichten zu erzählen.“

Im Interview erzählte Katharina Thoms, dass ihre Mutter sofort bereit gewesen sei, an diesem Projekt mitzuwirken. Die Gespräche seien nicht an einem Stück, sondern über Wochen und Monate entstanden: „Daher war das Projekt am Anfang auch gar nicht so groß und ernst geplant und sie [die Mutter] hat nicht damit gerechnet, dass mit dem Stoff wirklich was passiert.“

Screenshot, April 2019

Befragt, ob sie nun eine andere Sicht auf die DDR habe, sagte Katharina Thoms, diese sei nun etwas differenzierter: „Es gab einen ganz normalen Alltag, der von bestimmten Dingen geprägt war, die man dann aber so hingenommen und akzeptiert hat. Erst beim Erzählen ist mir dann aufgefallen, dass es gar nicht so selbstverständlich war, dass es bestimmte Dinge nicht gab, dass man bestimmte Dinge in der Schule nicht sagen sollte und so weiter.“

Und zur Resonanz auf das Projekt:

„Am meisten freut es mich, dass ich von Menschen, die auch im Osten aufgewachsen sind, viel positives Feedback bekommen. Es fielen Sätze wie: ‚Endlich erzählt es mal jemand‘, ‚So nachvollziehbar, so war es bei uns auch‘, ‚Ich erkenne meine Familie oder meine Mutter da wieder‘, ‚Es hat mich angeregt, auch selbst nochmal mit meinen Eltern darüber zu reden, wie es denn eigentlich war‘. Aber auch Menschen, die nicht so viel über die DDR wussten, haben sehr positiv auf ‚Mensch Mutta‘ reagiert. Das hat mich ebenfalls sehr gefreut, da es auch eines meiner Hauptziele war, über das Leben in der DDR zu informieren und davon zu erzählen.“

(Besonders schön war natürlich, dass bei der Preisverleihung nicht nur Katharina Thoms die Trophäe entgegennehmen durfte – sondern „Mutta“ mit auf der Bühne stand …)

Quellen auf einen Blick:
Das gesamte Interview ist hier nachzulesen.
Die Begründung der Jury für die Auszeichnung findet sich hier.
Und schließlich: Alle Folgen von „Mensch Mutta“ sind hier aufgelistet.


Der Hoheneck Komplex (2021)

Während es in „Mensch Mutta“ um den „ganz normalen Alltag“ ging, befasste sich das Crossmedia-Projekt „Der Hoheneck Komplex“ speziell mit einem der dunklen Kapitel der DDR-Geschichte: mit dem größten und berüchtigtsten Frauengefängnis der DDR, Burg Hoheneck in Stollberg / Sachsen. Hier saßen Straftäterinnen, aber auch politische Gefangene ein. Fünf frühere politische Gefangene schildern im „Hoheneck Komplex“ ihre Haftzeit.

„Viele Frauen, darunter Straftäterinnen, aber auch politische Gefangene, zählten zu den Insassinnen und wurden zur Zwangsarbeit genötigt. Sie alle nähten Strumpfhosen und Bettwäsche, die die DDR für Devisen an namhafte Firmen, darunter Aldi, Quelle und Karstadt, in den Westen verkaufte.“

(Aus dem Intro des damaligen quergewebt-Interviews)
Screenshot, April 2021

Die Seite wurde vom Mitteldeutschen Rundfunk und der mobyDOK medienproduktion entworfen und realisiert. Gestaltet ist die Website als Scrollytelling-Dokumentation, die nicht nur die Berichte selbst und alle Hintergründe der Geschichte dieses Gefängnisses wiedergibt, sondern zusätzlich eine für VR-Brillen geeignete, interaktive 360°-Ansicht der einzelnen Räume ermöglicht. Der Hoheneck Komplex war im Jahr 2021 für einen Grimme Online Award in der Kategorie „Information“ nominiert. (Mehr zum Projekt auf der GOA-Nominierten-Seite)

Im quergewebt-Interview sprach der Autor und Regisseur Mike Plitt über das Projekt und seine Entstehungsgeschichte – sehr ausführlich und so interessant, dass wir an dieser Stelle gerne auf das Gesamtinterview verweisen möchten. Denn das, was er erzählt, ist annähernd so spannend wie das Ergebnis – die vorliegende Website – selbst.

Deshalb folgen hier nur ein paar wesentliche Ausschnitte und Zusammenfassungen. Zur Motivation, sich mit dem Thema zu befassen, sagte Mike Plitt im Interview:

„Es gibt eine Vorgeschichte seitens der mobyDOK medienproduktion. Alexander Lahl und Max Mönch haben bereits einen erfolgreichen Animationsfilm mit dem Titel ‚Kaputt‘ zu Hoheneck erstellt, für den schon viele Vorabrecherchen getätigt wurden. Dadurch ist ein generelles Interesse an dem Thema entstanden. Da der Animationsfilm in seiner Kürze nicht alle Aspekte darlegen konnte, gab dies die Anregung, das Ganze als Crossmedia-Projekt vertiefend darzustellen.“

Screenshot, April 2021

Übrigens:
Der Film „Kaputt“ ist leider nicht mehr beim MDR bzw. in der Mediathek zu finden, dort ist nur ein Beitrag des Kurzfilmmagazins unicato vorhanden, in dem Markus Kavka mit Annegret Richter, der Geschäftsführerin der AG Animationsfilm, spricht; in dem Beitrag geht es auch um „Kaputt“. Der Film hat aber einen Wikipedia-Eintrag und eine Facebook-Seite.

Da dies ein Thema sei, „das im Zuge von Wiedervereinigung und Wende unter den Tisch gefallen ist“, sei das Interesse der am Projekt „Der Hoheneck Komplex“ Beteiligten groß gewesen, es noch einmal – besonders auf diese spezielle Weise – aufzuarbeiten: „gezielt, multiperspektivisch und mit einer profunden Recherche“ und in einer Art virtueller Gedenkstätte.

Screenshot, April 2021

Im Mittelpunkt der Seite stehen die ehemaligen politischen Gefangenen. Die Frauen waren über ihre persönlichen Berichte als Insassinnen und Zeitzeuginnen hinaus an der Entstehung beteiligt, indem sie etwa ihre Privatarchive zur Verfügung gestellt haben, „ihre Stasi-Akten, aber auch viele private und sehr persönliche Aufnahmen, die wir dankenswerterweise nutzen durften“.

Mike Plitt schildert auch seine persönlichen Empfindungen während der Entstehung, etwa wenn er über die Schicksale der Frauen spricht: „Bei Konstanze Helber war es vor allem die minutiöse Rekonstruktion ihres gescheiterten Fluchtversuchs durch die Staatssicherheit, die uns den Atem verschlagen hat.“

Oder wenn er darüber redet, wie akribisch die DDR daran gearbeitet hat, Straftaten zu dokumentieren, aber Positives auszulöschen:

„Wir hatten erfahrene Sprecherinnen wie zum Beispiel Edda Schönherz, die das DDR-Farbfernsehen eröffnet hat. Im Rahmen unserer Recherche haben wir auch die Archive der BStU in Berlin und des Deutschen Rundfunkarchivs (DRA) in Potsdam aufgesucht. Im DRA haben wir die einzige noch erhaltene Fernsehaufnahme von ihr aus DDR-Zeiten gefunden. Da waren wir natürlich baff, dass es nicht mehr gab, sie war ja schließlich der TV-Star schlechthin. Aber die DDR hat die gesammelten Aufnahmen von Edda systematisch vernichten lassen. Da hat sich der lange Arm der Diktatur gezeigt, die diese unbequem gewordene Person aus ihrer Geschichte tilgen wollte.“

Quellen auf einen Blick:
Mehr Hintergrundinfos im wirklich lesenswerten Gesamtinterview.
Die GOA-Nominierten-Seite ist hier.
Den „Hoheneck Komplex“ kann man hier ansehen.
Hier ist der Link zum Beitrag (Sendungsübersicht) des Kurzfilmmagazins unicato, in dem Markus Kavka mit Annegret Richter (Gespräch), der Geschäftsführerin der AG Animationsfilm, auch über den Kurzfilm „Kaputt“ spricht.
Wikipedia-Eintrag zu „Kaputt“.
Der Film hat(te) eine Facebook-Seite.


Eigensinn im Bruderland (2020)

Screenshot, April 2020

So wie der „Hoheneck Komplex“ behandelt auch „Eigensinn im Bruderland“ ein ganz spezielles Kapitel der DDR-Geschichte. Dieses Projekt, ebenfalls als Scrollytelling-Seite in mehreren Abschnitten angelegt, wird angeboten vom Zentrum für Antisemitismusforschung TU Berlin und out of focus medienprojekte; es wendet sich der Geschichte der Vertragsarbeiterinnen, der ausländischen Studierenden und der politischen Emigranten in der DDR zu, über die

„… viel zu wenig erzählt [wurde]. Sie kamen aus Vietnam, Mosambik, Angola oder Kuba mit der Hoffnung auf eine gute Zukunft – die leider zu oft enttäuscht wurde. ‚Eigensinn im Bruderland‘ bietet mit Texten und Videos einen persönlichen Einblick in die damalige Lebenswelt der Migrant*innen in der DDR zwischen strikten Wohnheimregeln, ungerechter Bezahlung und offener Ausländerfeindlichkeit“.

(Aus der Preisträgerbeschreibung des Grimme Online Award 2020)

Dafür erhielt das Projekt im Jahr 2020 einen Grimme Online Award in der Kategorie Wissen und Bildung. Ein Auszug aus der Begründung der Jury:

„Die vielfältige Webdoku überzeugt durch ihre einzigartige Aufbereitung. Anspruchsvoll umgesetzt und mit multimedialen Elementen versehen, schafft sie es sehr leserfreundlich, übersichtlich und facettenreich alle Lebensbereiche der Migrant*innen zu beleuchten und die teils sehr schwierigen Bedingungen offenzulegen. Die Mischung aus kuriosen Archiv-Fundstücken, seltenen Bildern, kurzweiligen Interview-Videos und liebevoll animierten Illustrationen macht ‚Eigensinn im Bruderland‘ zu einer Web-Dokumentation, die zeigt, wie interessant und nahbar Geschichte vermittelt werden kann.“

(Aus der Jurybegründung GOA 2020)
Screenshot, April 2020

Im quergewebt-Interview zum Projekt sprachen Julia Oelkers und Isabel Enzenbach (beide Konzeption & Redaktion) über die Entstehung und Realisierung von „Eigensinn im Bruderland“. Die Idee zum Projekt führen beide auf persönliche Beziehungen zu Migrant(inn)en aus der DDR zurück. Die Geschichten, die Julia Oelkers und Isabel Enzenbach von ihnen gehört hatten, lösten den Wunsch aus, das Thema tiefer zu beforschen.

„Das Ganze war von Beginn an mit dem Gedanken verbunden, Wissenschaft und Journalismus zusammenzubringen. Das heißt, wir wollten einen wissenschaftlichen Hintergrund, aber die Auswertung in einer Webdoku eingebunden haben.“ (Julia Oelkers)

„Insgesamt ist über die Einwanderungsgeschichte in der DDR sehr wenig bekannt. Aber besonders im Moment scheint es mir in der Bundesrepublik relevant zu sein zu wissen, dass die DDR eine Einwanderungsgeschichte hat und wie sie aussieht und wie vielfältig sie ist.“ (Isabel Enzenbach)

Die beiden Macherinnen beschrieben den – insgesamt rund anderthalbjährigen – Arbeitsprozess und die Zusammenarbeit mit den vielen essentiellen Beteiligten. Auf der einen Seite standen einzelne Personen, wie etwa …

„… Mai-Phuong Kollath, die von Anfang an das Konzept mitentwickelt hat und auf Grund ihrer eigenen Geschichte eine unglaubliche Fachexpertise und gute Beziehungen in die Community hat. Sie spricht schon lange öffentlich über ihre Geschichte, was aber nicht selbstverständlich ist für die Leute. Über sie haben wir Zugang zu der vietnamesischen Community bekommen. Auch die Kontakte über meinen Mann in die mosambikanische Community waren natürlich wichtig“.
(Julia Oelkers)

Auf der anderen Seite sind es verschiedene Institutionen gewesen, die unterstützt, begleitet und mitgearbeitet haben.

„Als wichtiger, wenig sichtbarer Partner, sind noch die Archivarinnen zu nennen. Wir haben viel mit Akten aus dem Bundesarchiv und auch aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv gearbeitet und wurden dort auch stark von den Archivarinnen unterstützt.“ (Isabel Enzenbach)

Julia Oelkers und Isabel Enzenbach schilderten im Interview, wie die Gespräche, die sie geführt haben, zu neuen Fragen und weiterem Recherchebedarf geführt haben und im Projektverlauf zusätzliche Ideen entstanden sind, etwa von ihrer Illustratorin Tine Fetz, die ebenfalls umgesetzt worden sind.

Screenshot, April 2020

Sie sprachen darüber hinaus ausführlich über die Zusammenarbeit mit den Interviewten: darüber, wie der eigentlich vorgesehene Titel noch einmal nachjustiert wurde, wie Zugänge gefunden werden mussten, welche Überzeugungsarbeit geleistet wurde. Befragt dazu, was ihnen aus der Recherche besonders in Erinnerung geblieben sei, sagte Julia Oelkers:

„Ich hatte nicht damit gerechnet in den Archiven, wo wir die Menschen gar nicht persönlich kannten und auch nicht gefunden haben, Geschichten zu finden, die einen so sehr berühren. Dann hat man oft hinter dieser seltsamen Aktensprache versachlicht entdeckt, dass da eine drastische Geschichte dahintersteht.“

Und Isabel Enzenbach:
„Für mich ist es auch einerseits das Erlebnis, dass es in den Akten wirklich erschütternde Geschichten gibt. Geschichten von Frauen, die schwanger waren, was in aller Regel Abschiebung bedeutet hat und die diese Abschiebung partout nicht wollten. Geschichten von Frauen, die sich dann dagegen gewehrt haben, die sich selbst verletzt haben, die am Flughafen versucht haben zu entkommen, aber trotzdem eiskalt abgeschoben wurden. Es war auch erschütternd ein Dokument zu sehen, auf dem eine Frauenärztin die Schwangerschaft bestätigt und gleichzeitig die Rückführung beantragt hat.“

Mehr zu den Zielen, dem angesprochenen Publikum sowie dazu, dass das Thema „Migration in der DDR“ so wenig Beachtung in deutschen Medien gefunden hat, kann man im Gesamtinterview nachlesen.

Übrigens:
Julia Oelkers war im Folgejahr erneut an einem Preisträgerprojekt beteiligt: Angeboten vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V., Opferberatung „Support“ des RAA Sachsen e.V. wurde 2021 die Webdokumentation „Gegen uns.“ in der Kategorie „Information“ ausgezeichnet. „Gegen uns.“ wird in Teil 3 unserer Artikelsammlung zum Themenkomplex „Der Blick in die Geschichte – Die DDR“ ausführlich behandelt (Veröffentlichung in Bälde). Das Videogespräch zwischen Julia Oelkers und Eva Deinert („Die Befreiung“) aus der ersten GOA talks-Reihe 2021 ist hier zu finden.

Quellen auf einen Blick:
Das Projekt „Eigensinn im Bruderland“ kann man sich hier ansehen.
Das Quergewebt-Interview lässt sich hier in Gänze nachlesen.
Die Begründung der Jury ist hier.
Das im Text erwähnte Projekt „Gegen uns.“, das 2021 einen Grimme Online Award erhalten hat, kann hier angesehen werden.
Und das GOA talks-Gespräch zwischen Julia Oelkers und Eva Deinert hier.