Der Blick in die Geschichte – Die DDR Teil 2: Mauerfall & Wende
Der quergewebt-Blogbeitrag „25 Jahre später: Die Mauer fällt virtuell“ gab bereits 2015 einen Überblick auf Projekte, die anlässlich des Jubiläums entstanden sind und zum Grimme Online Award eingereicht wurden, darunter unter anderem Beiträge des MDR, der Tagesschau und des ZDF sowie der BILD in Kooperation mit der Stasi-Unterlagenbehörde und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Im quergewebt-Blogbeitrag „Immer wieder Wiedervereinigung“ von 2021 beschrieb Vera Lisakowski die Fülle der Beiträge, die im Kontext „Mauerfall & Wende“ eingereicht worden waren, thematisch teilweise aber weit darüber hinausgingen oder auch andere Schwerpunkte gesetzt haben.
Zwei Projekte aus dem Jahr 2020 stellen wir hier ausführlicher vor.
Meine Wende – Unsere Einheit? (2020)
Fast ein Jahr lang, vom 9. November 2019 bis zum 3. Oktober 2020, also genau in der Zeit, in der sich erst Mauerfall und dann deutsche Einheit zum dreißigsten Mal gejährt haben, hatte das ZDF dazu aufgerufen, sich mit persönlichen Wende-Geschichten am Mitmach-Podcast „Meine Wende – Unsere Einheit?“ zu beteiligen. Pro Woche wurde mindestens ein Beitrag veröffentlicht, darunter „erstaunliche Biografien, unterschiedliche Sichtweisen auf die friedliche Revolution und ihre Folgen und sehr verschiedene Lebensläufe nach der Wende“. (Auszug aus der GOA-Nominierten-Seite für das Projekt.) Die Inhalte wurden unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht.
„Meine Wende – Unsere Einheit?“ wurde 2020 für einen Grimme Online Award in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. Die Website selbst existiert leider nicht mehr, aber in der ZDF-Rubrik „Das kleine Fernsehspiel“ sind die Podcastfolgen noch gesammelt – einige von ihnen sind sogar als animierte Kurzfilme aufbereitet worden und ebenfalls dort abrufbar.
Im quergewebt-Interview sprach Patrick Breitenbach im Jahr 2020 über Entstehung, Umsetzung und Ziele des Projekts.
„Die Idee ist ursprünglich eigentlich aus einer ganz anderen Idee heraus entstanden. Es stand das Jubiläum ‚30 Jahre Mauerfall‘ vor der Tür und das kleine Fernsehspiel, respektive Quantum als Formatlabor des ZDF hat sich überlegt, was können wir zu diesem Anlass Besonderes, Innovatives ausprobieren, wir als ZDF Digital und ZDF – Das kleine Fernsehspiel? Ursprünglich war tatsächlich einmal geplant in Richtung Instagram zu gehen. Das hat sich aber dann aufgrund der Plattformproblematik und diverser anderer Geschichten nicht so ergeben. Und so mussten wir dann ein bisschen umdenken.“
Bei Vorrecherchen habe das Team gesehen, dass die Themen Wendezeit und Einheit in vielen Geschichten aufgegriffen worden waren, die über historische Betrachtungen, das „Zeitzeugen-Perspektivische“ und bekannte Bilder hinausgingen und sich vielmehr damit befasst hätten, was dies mit den Menschen gemacht habe und wie die Menschen, diese Zeit, die sie miterlebt haben, bewertet haben. Genau solche Geschichten sollten in der Folge im Projekt gesammelt und hör- und sichtbar gemacht werden.
„Der Podcast ist ein schönes Medium, ein narratives Medium, aber wir haben uns gesagt, okay, wir machen nicht nur einfach einen Podcast und interviewen wieder Leute, sondern wir entwickeln ein Tool, bei dem Leute mitmachen können, wo sie ihre Geschichten selbst einreichen können.“ Eins der Ziele war, „Geschichten [zu] haben, die vielleicht ins kollektive Gedächtnis des Landes mit eingehen und wo man sagen kann, so unterschiedlich betrachten die Leute diese Thematik“.
Im quergewebt-Interview schilderte Patrick Breitenbach die Vielfalt der eingereichten Geschichten und spricht auch darüber, was sie auch bei ihm ausgelöst haben.
„Was ich besonders spannend und berührend bei allen Geschichten finde, ist die Vielfältigkeit, die einem vorher vielleicht nicht so bewusst war und schon gar nicht mit einem westdeutschen Kontext. Ich glaube, viele verstehen immer noch nicht, warum Menschen so denken, wie sie gerade denken und dass es auch nicht die eine Denkweise gibt, denn die ostdeutsche Identität ist unheimlich in sich zerrissen. Es wird viel gehadert. Die einen feiern Mauerfall und Einheit, die anderen sehen es als das Schrecklichste überhaupt. Dieses Spannungsfeld berührt mich, weil man so oft den Eindruck hat, es sei ja alles super und nach 30 Jahren sei das Land wieder zusammengewachsen. Deswegen ist auch ganz bewusst bei unserem Projektnamen ein Fragezeichen dahinter.“
Und er erwähnte im Kontext von Reaktionen auf das Projekt eine Aussage, die ihm in Erinnerung geblieben sei: “‘Unsere Geschichte wird immer von den anderen erzählt. Endlich können wir unsere eigene Geschichte erzählen, völlig ohne beeinflussende Interviewer. Wir können einfach aus uns heraus erzählen, wie wir die Dinge sehen.‘“
Quellen auf einen Blick:
Hier ist die Seite, auf der das Projekt als GOA-2020-Nominiertes vorgestellt wurde.
Dies ist der Link zum quergewebt-Interview mit Patrick Breitenbach.
Und dies ist die „ZDF – Das kleine Fernsehspiel“-Seite, auf der die Podcastfolgen sowie einige Animationsfilme zu finden sind.
wende_rewind (2020)
Die Geschichte der friedlichen Revolution stand im Mittelpunkt des rbb-Projekts „wende_rewind“. Im gleichnamigen Instagram-Kanal wurde vom 7. Oktober 2019 bis zum 18. März 2020 an die dreißig Jahre zurückliegende Zeit zwischen „Republikgeburtstag 1989 bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen 1990“ erinnert. Unter Verwendung von Archivmaterial und O-Tönen „erzählen die Stories die Ereignisse auf den Tag genau, der Feed liefert Fakten, Zitate, Videos und Fotos und oft eine starke Vertiefung“, so die damalige Beschreibung beim Grimme Online Award 2020, für den „wende_rewind“ in der Kategorie Wissen und Bildung nominiert war.
Im quergewebt-Interview aus dem Jahr 2020, das unter dem Titel „Archivmaterial eine neue Bühne geben“ stand, sprachen Anna-Mareike Krause und Isabel Hummel (beide für Idee und Konzept zuständig) über „plattformgerechte und zielgruppenorientierte Archivaufbereitung“.
Zur Entstehung des Projekts sagte Anna-Mareike Krause:
„Im März vergangenen Jahres hat mich Christoph Singelnstein, der Chefredakteur des rbb, angerufen, der sich schon lange mit diesem Thema beschäftigt und selbst auch Bürgerrechtler in der DDR war. Er gab die Anregung ein anderes und sehr viel älteres Projekt des rbb, ‚Die Chronik der Wende‘ von 1994, für eine Zielgruppe, die selbst keine Erinnerungen an die Wende hat, aufzuarbeiten.“
Nach Sichtung des Materials und seiner Verwendung in einem „Tag-für-Tag-Erzählen“, um die Entwicklung in dieser Zeit als Chronik darzustellen, hätten Isabel Hummel und sie den Stoff sehr schnell als gut geeignet auch für eine jüngere Generation beurteilt: auf Instagram.
Das Team, das die Arbeiten umgesetzt hat, war bewusst sehr jung besetzt, da für „wende_rewind“ eine junge Perspektive gewünscht war. Es „ging genau darum, ohne Zeitzeug*innenschaft durch diese Perspektive darauf zu blicken“. Eine ost- und eine westdeutsche Kollegin aus der Generation mit eigenen Erinnerungen waren aber ebenfalls als Begleitung während des gesamten Projektverlaufs im Team.
„Wir konnten natürlich alles journalistisch nachrecherchieren, aber manchmal ging es auch einfach darum, ein Gefühl zu transportieren und da war es unglaublich hilfreich, noch mal auf die Kolleginnen zurückgreifen zu können und nachzufragen oder auch einen Tipp zu bekommen, was sonst damals unglaublich wichtig war.“ (Isabel Hummel)
Sie sprach über die unterschiedlichen Biografien der Teammitglieder und ergänzte:
„Wir haben oft im Team diskutiert, dass wir das Wende-Thema zwar alle in der Schule hatten, aber wie wenig eigentlich im Geschichtsunterricht behandelt wurde und wie viele Löcher es in der Geschichtserinnerung gibt. Deswegen war es für uns auch eine Erkundungsreise, die wir quasi mit unseren Nutzer*innen zusammen gemacht haben.“
Mit Instagram erreiche man eine Zielgruppe, die man mit klassischen Websites nicht so gut adressieren kann. Das Angebot richtete sich schließlich an die, die (altersbedingt) die Wende nicht bewusst mitbekommen haben. Und die größte Nutzergruppe war dann tatsächlich auch die der 25- bis 34-Jährigen – die eine Fülle positiver Rückmeldungen gegeben haben. Dennoch wurden zum Jubiläum des Mauerfalls und der folgenden Monate auch die rbb-Website-Besucher(innen) keinesfalls vernachlässigt. Hier wurde die Dokumentation „Chronik der Wende“ komplett in die Mediathek und auf YouTube hochgeladen.
Übrigens:
Diese Dokumentation ist dort nicht mehr verfügbar. Aber eine Webumsetzung der „Chronik der Wende“ ist hier zu finden.
Befragt dazu, ob beide Macherinnen in dieser Art von Format die Zukunft in der Verwertung von Archivmaterial sähen, sagte Isabel Hummel:
„Es ist ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, Geschichte und Archivmaterial modern und plattformgerecht zu erzählen. Ich fänd‘s toll, noch mehr Projekte zu sehen, die sich mit den Schätzen aus den Archiven beschäftigen. Das passt natürlich auch wunderbar zum öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag. Das muss nicht nur Instagram sein. Klar, es eignet sich, um etwas täglich nachzuerzählen, aber ich glaube, es gibt noch wesentlich mehr Möglichkeiten. Ich würde sagen, wir haben einen guten Aufschlag gemacht und dass man in die Richtung weitergehen kann.“
Und Anna-Mareike Krause ergänzte, dass sie auch glaube, man solle sich nicht auf Instagram festlegen. Es gebe so viele Plattformen und man erreiche überall andere Zielgruppen. Sie hätten gezeigt, dass das auf Instagram funktionieren kann, dies könne aber auch auf anderen Plattformen gehen:
„Die Plattformen entstehen und sterben so schnell und entwickeln sich weiter, dass ich jetzt nicht voraussagen wollen würde, was wir in fünf Jahren auf welchen Plattformen machen. Aber man kann aus dem Projekt lernen, wie wichtig es ist, sich sehr stark daran zu orientieren, an wen man sich richtet und wie die Plattform funktioniert. Was mich aber besonders freut, ist, dass es uns gelungen ist, ausschließlich mit Archivmaterial zu erzählen. Wir haben die authentischen Protagonist*innen auf eine neue Bühne geholt, ohne mit aktuellen Interviews zu ergänzen.“
Quellen auf einen Blick
Dies ist die Nominiertenseite des GOA 2020.
Hier findet sich das Interview mit Anna-Mareike Krause und Isabel Hummel.
Und dies ist die Adresse des Projekts.
Die im Text erwähnte rbb-Website-Variante von „Die Chronik der Wende“ kann hier angesehen werden.
Übrigens:
Bereits aus dem Jahr 2010 stammt das Webspecial „Das Wunder von Leipzig“, eine Koproduktion des Mitteldeutschen Rundfunks und ARTE, das leider nicht mehr abrufbar ist. In ihm ging es medienübergreifend um einzelne Stationen in der „Heldenstadt“ und die Ereignisse und Personen im Vorfeld der Wiedervereinigung. „Der Weg der Demonstranten lässt sich entlang des Innenstadtrings mit charakteristischen Schauplätzen wie der Nikolaikirche oder der SED-Bezirksleitung verfolgen. Erklärungen, Augenzeugenberichte, Fotos, Audios und Filmsequenzen nehmen den Nutzer mit auf eine Reise zu den bedeutendsten Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte.“ (Aus der damaligen GOA-Nominierten-Seite)
Und dies hier noch:
Nicht nur, aber auch um Mauerfall und Wende ging es im 2010er-Beitrag „Little Berlin – Ein Dorf deutscher Geschichte“. Das Dorf Mödlareuth an der thüringisch-bayerischen Grenze war durch die Mauer getrennt und wurde – so hieß es auf der damaligen GOA-Nominierten-Seite, „zum Symbol der deutschen Teilung“. 2010 sammelten 19 Volontäre der Axel Springer Akademie eine Woche lang die Geschichten aus dem Dorf. „Crossmedial wird hier große Geschichte im ganz Kleinen erzählt.“ (GOA-Nominierten-Beschreibung) Die Ergebnisse sind leider nicht mehr abrufbar.