Welterklärer
Die Welt und das Geschehen auf ihr sind komplex. Nicht nur Kinder lernen jeden Tag etwas Neues hinzu, sondern auch Erwachsene. Um politische, gesellschaftliche oder auch wissenschaftliche Themen einordnen und verstehen zu können, greifen wir – und zwar jung und alt – gern auf Medien aller Art zurück, die uns (im besten Fall) als seriöse Informationsquellen dienen. Dies geschieht on- und offline und in Deutschland häufig im Rahmen der Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber natürlich auch über Formate aus der Privatwirtschaft. Hinzu kommen noch Einzelanbieter, die mit oder ohne wirtschaftliche Interessen eigene Beiträge produzieren und veröffentlichen.
Gut 50 Prozent der deutschsprachigen Menschen ab 14 Jahren nutzen 2023 Social-Media-Angebote mindestens wöchentlich, pro Tag sind es 35 Prozent. Im Schnitt verbringt die Bevölkerung 31 Minuten mit Sozialen Medien – auf die eine oder andere Weise. Die Nutzung von Videos in Social Media entwickelt sich dynamisch, insbesondere in jungen Zielgruppen. Bei den Plattformen ist Instagram jetzt sowohl bei der mindestens wöchentlichen als auch bei der täglichen Nutzung eindeutig die Nummer eins, gefolgt von Facebook, TikTok, Snapchat, Pinterest und Twitter.
ARD/ZDF-Onlinestudie, 2023
Die Reihenfolge hinter den Top-4 verschiebt sich ein wenig (in Bezug auf die tägliche Nutzung). Social Media hat für Menschen unter 30 Jahren einen ganz anderen Stellenwert als für ältere Personen. Das zeigt sich am besten in der Differenzierung nach Altersdekaden.
Es gibt also viele Wege, um sich zu informieren. Aktuell befinden wir uns in einer Phase, in der sich die Art der Nutzung von Medien und die Medienformate von Generation zu Generation explizit verändern. Haben Familien früher gemeinsam die Tagesschau geschaut und ggf. Tageszeitungen gelesen, geht dies heute bei jung und alt eher getrennt voneinander und mithilfe einer vielfältigeren Medienlandschaft vonstatten. Dabei ist es nicht so, dass man beispielsweise die klassische Tagesschau-Sendung als Informationsquelle bei jungen Menschen ausschließen kann oder Social Media von Älteren gar nicht genutzt wird, jedoch sind die Nutzungsintensität und Vielfalt der Social-Media-Plattformen unterschiedlich.
Im vorliegenden Beitrag geht es um beispielhafte junge und qualitativ hochwertige Online-Informationsquellen. Diese findet man unter anderem bei den Preisträgerinnen und Preisträgern des Grimme Online Award. Im Folgenden möchten wir Ihnen ein paar ausgewählte Formate vorstellen und Sie dazu anregen, im Anschluss einen näheren Blick in die vielfältige Landschaft der nominierten und ausgezeichneten Online-Angebote zu werfen.
Fangen wir also an bei den Preisträger(inne)n und Nominierten des vergangenen Jahres an und nennen als ein Beispiel einer jungen Welterklärerin KARAKAYA TALKS, welche 2023 für den Grimme Online Award nominiert wurde. 2020 erhielt sie übrigens bereits den Grimme Online Award in der Rubrik „Kultur und Unterhaltung“. Beschrieben wurde das Angebot auf der Preis-Website wie folgt:
Von der Brotkrise im Libanon über das Shisha-Verbot in Mali bis hin zum Elefanten als Klimaretter – Esra Karakaya behandelt auf ihrem TikTok-Kanal „KARAKAYA TALKS“ Themen, die in traditionellen Redaktionen eher übersehen werden. Das divers besetzte Team bereitet sie zielgruppen- und plattformgerecht mit Tiefe und Humor auf. Die kurzen Clips sind journalistisch hochwertig und gleichzeitig locker in der Darstellung und werden von einer umfangreichen Quellenübersicht begleitet.
(aus der GOA-Projektbeschreibung)
Das Preisteam sprach mit Esra Karakaya, welche ihre Motivation zur Umsetzung des Formats KARAKAYA TALKS folgendermaßen formulierte:
Der Hintergedanke war, dass ich gerne journalistisch aufgearbeitete Informationen an Zielgruppen gebe, wo ich das Gefühl habe, dass diese solche Informationen sonst oft nicht bekommen. In unserem Fall sind das junge Millennials und Gen Z of Colour oder BIPoCs (Black, Indigenous, People of Color). Wir versuchen nicht mit unserem Format Leute zu erreichen, die ohnehin schon politisch informiert sind und jeden Tag die Zeitung und Nachrichten lesen, sondern eher Leute, die etwas “Nachrichten-verdrossen” sind. Auf TikTok erreichen wir Menschen zwischen 18 und 24 und vermutlich auch jünger. Auf Instagram sind es eher Millennials, also 25- bis 35-Jährige. Das Ziel ist es, dass diese Zielgruppen wirklich zentriert werden. Dass ich für diese Zielgruppen, die auch mich selbst inkludieren, Inhalte auf eine Art und Weise aufbereite, die zugänglicher und knackiger ist und auch einfach ein bisschen Spaß macht. Das war der Grund, warum ich jetzt mache, was ich mache.
quergewebt, Interview mit Esra Karakaya
Rezo erhielt 2020 einen Grimme Online Award und mischte die Diskussion über die Relevanz von Social Media kräftig auf:
Schlagartig wurde im Mai 2019 Politiker*innen und Journalist*innen die Relevanz von YouTube klar. Auslöser war das Video „Die Zerstörung der CDU“, in dem Rezo mit einem 13-seitigen Quellenverzeichnis die Politik von CDU, CSU, SPD und AfD kritisierte. Mit diesem inzwischen über 17 Millionen Mal geklickten Video führte Rezo politische Themen und Kenntnisse zur Quellenrecherche an eine junge Zielgruppe heran. Gleichzeitig löste er eine intensive Debatte in politischen sowie journalistischen Kreisen aus.
(aus der GOA-Projektbeschreibung)
„Die Zerstörung der CDU“ ist eine brachiale zivilgesellschaftliche Intervention, deren Stärke der leidenschaftlich wirkende Auftritt Rezos in Kombination mit einer Fülle dokumentierter Quellen ist. Im Gestus der atemlosen Aufklärung entwickelt Rezo, unterstützt durch schnelle Schnitte, Politiker*innen-Zitate und eingängige Grafiken, einen argumentativen Sog, in dem auch seine eigenen kleinen Widersprüche für den Moment verschwinden.
(Auszug aus der Jurybegründung)
Der eigentliche Wert der „Zerstörung der CDU“ besteht in der hochfrequenten Rezeption über alle Medienkanäle und Generationen hinweg. Ausgelöst durch dieses Video wurde intensiv wie selten zuvor über Vortrag und Wirkung der regierenden Politik, aber auch der Medien diskutiert. Rezo selbst beteiligte sich daran und reagierte durchaus besonnen auf Kritik an der emotionalisierenden Form seines Auftritts. Eine Intervention aus dem vermeintlich unpolitischen Off mit Langzeitwirkung, die mehr aufbaut als zerstört.
Auf die Nachfrage des quergewebt-Teams, wie die Idee zustande kam, auch ein Dokument mit Quellen dazu hochzuladen, antwortete Rezo folgendermaßen:
Das war für mich nicht mal eine Frage. Ich finde einfach, wenn man etwas sagt, dann sollte man einen Beleg dafür liefern. So etwas wichtig zu finden ist einfach mein grundsätzlicher Vibe. Vielleicht liegt das auch daran, dass meine letzte große Arbeit davor meine Masterarbeit war und ich es dadurch so kannte und für richtig empfunden habe. Nachdem ich meinen Master abgeschlossen habe, habe ich auch keine journalistischen Texte veröffentlicht, in denen es eher unüblich ist, dass man die ganzen Quellen zeigt. Ich habe mir einfach gedacht, ja okay, ich muss das mit Quellen machen. Bei den anderen argumentativen Sachen, die ich in den Monaten davor gemacht habe, habe ich natürlich auch mit Quellen gearbeitet.
Ich glaube auch, dass das eine Sache ist, die in der heutigen Zeit viel wichtiger ist als vielleicht noch vor zehn oder zwanzig Jahren, weil heutzutage einfach jeder alles sagen kann und für alles kann man irgendwie eine Quelle finden. Hierdurch ist die Transparenz für den Zuschauer, das heißt, dass dieser nachvollziehen kann, woher eine Information stammt und wie sie dann ganz exakt aussieht, heutzutage noch relevanter ist.
quergewebt, Interview mit Rezo
Das digitale Reportageformat STRF_G erhielt 2020 einen Grimme Online Award und wird wie folgt beschrieben:
Spannervideos auf Toiletten, eine Exklusivreportage von der „Sea-Watch 3“ oder die Fake Pranks von Joko und Klaas: Beim funk-Angebot „STRG_F“ wird investigativ recherchiert – und die Recherche ist selbst Teil der Reportage, was zugleich die Methoden der Journalist*innen vermittelt. Wöchentlich werden auf dem YouTube-Kanal Videos veröffentlicht, die nicht nur eine junge Zielgruppe ansprechen. Dabei sind die Autor*innen im Austausch mit der Community und binden sie auch in die Recherchen ein.
(Aus der GOA-Projektbeschreibung)
Die Macher*innen von „STRG_F“ überzeugen durch offene und experimentelle Formate, Kontinuität, die Themenvielfalt, die Interaktion und Nähe zum Publikum, das sie nicht belehren, sondern mit dem sie eigene Zweifel teilen. Mindestens genauso beeindruckend sind die sichtbare Entwicklung über die vergangenen zwei Jahre seit dem Start des Formats und vor allem die plattformgerechte Art und Weise, mit der das Team ernste, herausfordernde, komplexe Themen einem breiten und jungen Publikum zugänglich macht.
(Auszug aus der Jurybegründung)
Was das besondere an STRG_F ist, wollte das quergewebt-Team von dem Macher Dietmar Schiffermüller wissen:
Das magnetische Zentrum von STRG_F ist Journalismus. Wir wollen Journalismus für junge Zielgruppen machen. Und ich sage es mal so, es gibt eine gute Nachricht: Junge Menschen wollen Journalismus und sie verstehen sehr genau den Unterschied zwischen Journalismus und der Simulation von Journalismus. Wir versuchen, das sehr sorgfältig zu machen, aber auch ein Narrativ so zu erzählen, dass es für junge Menschen interessant und auch im besten Falle unterhaltsam ist.
quergewebt, Interview Dietmar Schiffermüller
Der YouTube-Kanal Mailab wurde 2018 mit einem Grimme Online Award ausgezeichnet. Das Wissenschaftsformat wird so beschrieben:
Impfen, Tierversuche oder Genetik: Auf so vielen Gebieten verfügen die meisten Menschen über nicht mehr als Halbwissen. Die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim kann da abhelfen. In ihren Videos im funk-YouTube-Kanal „maiLab“ erklärt sie ausführlich, verständlich und unterhaltsam wissenschaftliche Zusammenhänge und räumt mit verbreiteten Mythen auf – zum Beispiel über die Gefahren von Milch oder Zahnpasta. Dabei kann ihre spürbare Begeisterung für die Wissenschaft für andere junge Frauen Vorbild sein.
(Aus der GOA-Projektbeschreibung)
Das dem „funk“-Netzwerk von ARD und ZDF zugehörige Format macht auch vor neuen heiligen Kühen nicht halt (Detox-Kuren? Wissenschaftlich gesehen, Unsinn!). Beeindruckt war die Jury unter anderem von der vordergründigen Leichtigkeit, mit der es den Macherinnen gelingt, Komplexität zu reduzieren, ohne dass man je das Gefühl hat, dass sie sich vor den schwierigen Aspekten ihrer Themen drücken. Das wirkt geradezu schwerelos, aber dahinter steckt hohe, preiswürdige Kunst.
(Auszug aus der Jurybegründung)
„maiLab“ ist cool, lustig und intelligent. Es erreicht seine junge Zielgruppe und verführt sie spielerisch zu dem großen Abenteuer einer wissenschaftlichen Weltsicht, in der empirische Evidenz, intersubjektive Überprüfbarkeit und echte Einsicht an Stelle voreiliger, schneller Schlüsse treten. Für die Jury ein herausragendes Beispiel eines jungen, zeitgemäßen Wissenschaftsjournalismus.
Auf die Frage, wieso Mai Thi Nguyen-Kim YouTube als Format nutzt, antwortete sie so:
Ich glaube, YouTube ist eine super Plattform für meine Arbeit. Das Video als Medium ist so vielschichtig. So kann man wissenschaftliche Inhalte, die oft auch gesellschaftlich relevant sind, so verpacken, dass man eben genau diejenigen erreicht, die sich von alleine gar nicht damit auseinandersetzen würden. Bei wissenschaftlichen Artikeln ist es zum Beispiel nicht möglich. In meinem Fall ist es zudem so, dass es mir der ganze Prozess, ein Video zu produzieren, Spaß macht. Es ist glaube ich auch wichtig, dass die Leute eine echte Wissenschaftlerin vor der Kamera sehen.
quergewebt, Interview mit Mai Thi Nguyen-Kim
Die Liste könnte natürlich noch weiter geführt werden, soll aber an dieser Stelle nur einen kurzen Einblick und vielleicht die Anregung geben, sich mit komplexen Themen online auseinanderzusetzen. Es gibt jede Menge Unfug und auch irreführende Informationen im Netz, aber es gibt eben auch eine große Menge an gut recherchierten Beiträgen, die aufklären, anregen und mitnehmen und das online in ganz verschiedenen Formaten.
Alle Nominierten und Preisträgerinnen und Preisträger sowie Informationen zu deren medialen Formaten finden Sie online auf der Preis-Website. Der quergewebt-Blog bietet zudem dazu passende kurzweilige Interviews.