Der genaue Blick in den Osten
Der Osten Deutschlands – so kann man den Eindruck bekommen – ist rechts, und wer nicht so aussieht, als würde seine Familie seit Generationen in Deutschland leben, hat es dort sehr schwer. Das ist sicher in Teilen so, jedoch ist auch hier ein genauer, ein differenzierter Blick notwendig: neben dem auf viele Menschen und Initiativen, die sich für eine offene, demokratische Gesellschaft einsetzen, auch auf die Geschichte und die Ursachen für Intoleranz und Gewalt.
Solch eine differenzierte Betrachtung liefert unter anderem die sechsteilige Video-Reportagereihe „Baseballschlägerjahre“. Sie beruht auf der persönlichen Erfahrung von ZEIT-Autor Christian Bangel, der die Gewalt der Nachwendejahre in Frankfurt (Oder) persönlich erlebt hat. Er wollte wissen, ob und wie andere diese Gewalt auch erfahren hatten, und rief im Oktober 2019 mit einem Tweet und dem Hashtag #Baseballschlägerjahre auf, ihre Erinnerungen zu teilen. Zu lange war seiner Meinung nach über diese Zeit geschwiegen worden, in der Bomberjacken, Springerstiefel und Hitlergruß zum alltäglichen Bild gehörten und Andersdenkende oder anders Aussehende zu Opfern des Hasses wurden. Die Resonanz auf den Tweet war riesig und auch für Bangel überraschend. In der Folge erschienen einige Berichte über diese Zeit – unter anderem die Videodokumentation. In ihr wird nach Frankfurt (Oder) auch Magdeburg besucht, sie ruft den Fall Amadeu Antonio Kiowa, der 1990 von Skinheads erschlagen wurde, in Erinnerung, besucht eine Brandenburger Sondereinheit der Polizei für rechte Gewalt, einen ehemaligen Neonazi sowie einen ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter, der heute in Rostock lebt. Wer die sechs Teile ansieht, bekommt so ein umfassendes Bild von der Situation der „Baseballschlägerjahre“ damals und davon, was heute vielleicht anders ist.
Um die „Baseballschlägerjahre“ geht es auch in einer Episode der Webdokumentation „Gegen uns.“. In ihrem Mittelpunkt stehen die Lebensgeschichten von Menschen, die – vor allem im Osten Deutschlands – aus rassistischen, antisemitischen und anderen rechten Motiven angegriffen wurden. Die Perspektiven der Betroffenen werden in Wort, Bild und Video eindrücklich geschildert und die Taten eingeordnet. Die langen und ausführlichen Episoden mit Berichten verschiedener Personen machen auf Unstimmigkeiten aufmerksam, Ungerechtigkeiten scheinen auf, vor allem aber machen sie die Auswirkungen deutlich, die die Gewalt auf das Leben der Betroffenen hatte. Sie zeigen aber auch die gesellschaftlichen Folgen von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt.
Oft sind ehemalige DDR-Vertragsarbeiter*innen und ihre Nachkommen heute Opfer von Anfeindungen und Gewalt im Osten Deutschlands – doch auch früher hieß ihre neue Heimat sie nicht herzlich willkommen. Im Gegenteil. Die Geschichte der Vertragsarbeiter*innen, der ausländischen Studierenden und der politischen Emigrant*innen in der DDR wurde viel zu wenig erzählt. Sie kamen aus Vietnam, Mosambik, Angola oder Kuba mit der Hoffnung auf eine gute Zukunft – die leider zu oft enttäuscht wurde. Die Webdokumentation „Eigensinn im Bruderland“ bietet mit Texten und Videos einen persönlichen Einblick in die damalige Lebenswelt der Migrant*innen in der DDR zwischen strikten Wohnheimregeln, ungerechter Bezahlung und schon damals offener Ausländerfeindlichkeit.
„Eigensinn im Bruderland“ und „Gegen uns.“ entstanden aus einem großen Team heraus, jeweils für unterschiedliche Institutionen. An beiden entscheidend beteiligt war jedoch die Journalistin und Dokumentarfilmerin Julia Oelkers, die bei GOA talks über die Produktionen und ihre Motivation, sich den Themen zu widmen, erzählt hat. (Diese Gespräche gehen in der nächsten Woche online.)
Diese drei Angebote wurden für einen Grimme Online Award nominiert bzw. damit ausgezeichnet. Aber es gibt bestimmt weitere Angebote, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Wenn du welche kennst: Sag es uns. Via Twitter, Instagram, Facebook oder einfach per E-Mail.